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Wahrscheinlichkeitslehre

 

 

I. Was ist unter dem Ausdruck "wahrscheinlich" zu verstehen?

 

Wir unterscheiden vier verschiedene, teils  miteinander zusammenhängende, teils heterogene Verwendungen des Ausdrucks "wahrscheinlich":

 

 

1. Wahrscheinlichkeit als alltagssprachig-intuitiver  Ausdruck. (Wahrscheinlichkeitsbegriff von Tante Emma)

2. Wahrscheinlichkeit als apriorisch-mathematischer Ausdruck.

(Klassischer Wahrscheinlichkeitsbegriff nach La Place)

3. Wahrscheinlichkeit als empirisch-statistischer Ausdruck.

(empirischer Wahrscheinlichkeitsbegriff nach von Mises)

4.  Wahrscheinlichkeit als Ausdruck im Rahmen  einer  axiomatisch begründeten formalen Theorie. (Kolmogorow)

 

1. Alltagsprachig bezeichnen wir jedes Ereignis, dessen Eintreten wir nicht mit Sicherheit voraussagen können oder konnten, als mehr  oder  weniger wahrscheinlich. Denken Sie etwa  an  folgende Formulierungen: "Welch ein Zufall, dass wir uns gestern  getroffen haben";  "Bei der politische Lage von 1939 war der  Ausbruch  des zweiten  Weltkrieges  sehr  wahrscheinlich";  "Bei  der  heutigen beruflichen Situation eines Akademikers ist es nach Abschluss  des Psychologie  Studiums sehr unwahrscheinlich, eine fixe Stelle  zu bekommen".

Es  ist  in all diesen Kontexten nicht ganz klar, was  nun  genau "zufällig" bzw. "wahrscheinlich" bedeutet. Wir orientieren uns in unserem Verhalten zwar an solchen Aussagen. Was aber insbesondere in  derartigen Aussagen unklar bleibt, ist das Ausmaß  der  Wahrscheinlichkeit.  So  beinhaltet beispielsweise die  Aussage,  wir haben  uns nur zufällig getroffen, dass unser  Treffen  unerwartet kam,  also nicht sehr wahrscheinlich war. Wie wenig  wahrscheinlich  aber? War die Wahrscheinlichkeit, uns zu treffen, nur  0,41 oder belief sie sich gar auf 0,5???

Wie  man  an dem Beispiel sieht, enthält  der  alltagssprachige Begriff  der  Wahrscheinlichkeit  wenig  Informationen  über  das Ausmaß der Wahrscheinlichkeit.

Dazu ist es erforderlich, unseren Begriff der  Wahrscheinlichkeit zu präzisieren. Überlegen wir uns zunächst, woher die  Schwierigkeiten  kommen,  der in der obigen  Aussage  ausgedrückten  Wahrscheinlichkeit unseres Treffens eine Zahl zuzuordnen. Das  Problem dabei  ist, dass wir die verschiedenen möglichen  Umstände,  unter denen ein Treffen zustande kommen kann, nicht exakt unterscheiden können.  Ähnliches gilt für den Ausbruch eines Krieges.  Auch  in diesem  Falle tun wir uns schwer, die verschiedenen  Bedingungen, die einen Krieg auslösen können, auseinander zu halten.

Zur  Klärung dieses Problems folgende  terminologische  Vorbemerkung:  Eine zufällige Begegnung, der Ausbruch eines Krieges,  das Erlangen  eines festen Dienstverhältnisses, lassen sich als  einzelne Ereignisse bezeichnen.

Nun  ist  das Werfen einer bestimmten Augenzahl, wie  wir  es  in Glückspielen  antreffen, ebenfalls ein einzelnes Ereignis.  Bevor wir  würfeln, gibt es bei einem normalen Würfel genau sechs  verschiedene  Augenzahlen,  die wir bekommen können.  Es  gibt  also genau sechs verschiedene Einzelereignisse, die eintreten  können. Es  ist  beispielsweise unmöglich, eine sieben  zu  würfeln.  Die sechs  verschiedenen  Einzelereignisse bilden  einen  so genannten Ereignisraum.  Da alle sechs möglichen  Einzelereignisse  gleichwahrscheinlich sind, beträgt - vorerst rein intuitiv gesprochen - die  Wahrscheinlichkeit,  ein bestimmtes  Einzelereignis  -  eine bestimmte  Augenzahl - zu bekommen, ein sechstel. Vergleicht  man nun dieses Beispiel mit den beiden alltagssprachig  beschriebenen  Situationen - eine zufällige Begegnung, der  Ausbruch  eines Krieges,  so  sieht man, worin der  Unterschied  zum  Würfelspiel besteht. In den beiden Situationen tun wir uns schwer, den Ereignisraum  exakt  einzugrenzen. Was bedeutet genau die  Anzahl  der Begegnungen? Bezieht sich die Zufälligkeit unserer Begegnung  auf den gestrigen Tag oder auf alle Tage? Derartige Fragen bleiben in der  alltagsprachigen  Verwendung des  Wortes  "wahrscheinlich" ungeklärt. Die alltagsprachige Verwendung des Wortes ist lediglich Ausdruck des Grades unserer subjektiven Gewissheit, aber kein objektivierbares  Maß  für das Eintreten eines  Ereignisses.  Wir können  die Wahrscheinlichkeit daher nur schlecht mit einer  Maßzahl quantifizieren.

Fassen  wir  daher  zunächst präziser,  was  mit  den  Ausdrücken "Elementarereignis" und "Ereignisraum" gemeint ist.

Ein Ereignisraum bezeichnet die Menge aller möglichen Ergebnisse, die wir bei einem bestimmten Experiment erzielen können.

Beispiele:  das Messen der Reaktionszeit in ms, das Werfen  einer bestimmten  Augenzahl, ein Intelligenztest, in  einem  Fragebogen die Variable "Geschlecht" usw.

Die Elementarereignisse sind nun nichts anderes als die möglichen erzielbaren Ergebnisse in einem Experiment.

Beispiele:  die Reaktionszeit 30 ms; die Augenzahl 6; ein IQ  von 140; das Geschlecht "weiblich" usw.

 

Überlegen  wir uns im Anschluss an diese begrifflichen  Festlegungen,  was im Falle der dritten alltagsprachigen Formulierung  - das  Erlangen eines festen Dienstverhältnisses  -  "Ereignisraum" und "Elementarereignis" sein könnten.

Stellen  Sie  sich  vor, auf eine Ausschreibung  für  eine  freie Stelle  würden sich 10 Bewerber einfinden. Der Ereignisraum  wäre in  diesem Falle die aufgrund der ausgeschriebenen Stelle  möglichen Bewerber und ein Elementarereignis wäre eine einzelne Bewerbung. Da wir in diesem Falle die Elementarereignisse genau  angeben können,  scheint einer Berechnung der  Wahrscheinlichkeit  nichts mehr im Wege zu stehen: Ihre Chance, die Stelle zu bekommen -  so könnte  man glauben -, beträgt genau ein zehntel. Nun wissen  Sie freilich,  dass eine derartige Berechnung  der  Wahrscheinlichkeit reichlich naiv wäre. Sie gehen nämlich in der Berechnung von  der Chancengleichheit aller Kandidaten aus. Diese ist aber in unserem Bewerbungsalltag nur selten gegeben.

Das  Beispiel  lehrt uns, dass die exakte Angabe  aller  möglichen Elementarereignisse nur einen ersten zwar notwendigen, aber keineswegs hinreichenden Schritt zur Berechnung der  Wahrscheinlichkeit darstellt.  Was  wir darüber hinaus noch klären müssen,  ist  die Frage, wie sich die Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Elementarereignisse  untereinander  aufteilen. Sind  alle  Elementarereignisse denn überhaupt gleichwahrscheinlich?

Von  dieser Annahme geht zumindest die klassische Definition  der Wahrscheinlichkeit aus, womit wir bei der zweiten Verwendung  des Wortes "wahrscheinlich" angelangt sind.

 

 

2. Wahrscheinlichkeit als mathematisch-a priorischer Ausdruck

 

Gehen wir davon aus, dass alle Elementarereignisse in einem Ereignisraum  die gleichen Chancen haben, so beträgt  die  Wahrscheinlichkeit  eines Elementarereignisses 1/n, wobei n die Anzahl  aller Elementarereignisse bezeichnet.

 

Beispiel:  n  ist  die Anzahl aller  möglichen  Augenzahlen,  ein Elementarereignis  ist die Augenzahl "2", die  Wahrscheinlichkeit dafür ist nach obiger Definition ein sechstel.

Diese  -  auch als klassische Definition  der  Wahrscheinlichkeit bezeichnete  - Wahrscheinlichkeit ist nun insofern  a priori,  als sie sich auf keine empirischen Experimente stützt.

 

Kennen  wir die Wahrscheinlichkeit eines Elementarereignisses,  so lassen  sich  zusammengesetzte Ereignisse nach  folgender  Formel berechnen:

p (A) = Anzahl der Elementarereignisse von A / Anzahl der Elementarereignisse des Ereignisraumes.

 

Beispiel:  Betrachten wir das zusammengesetzte  Ereignis:  Werfen einer  geraden Augenzahl. Mögliche gerade Augenzahlen  sind:  2,4 und 6. Das zusammengesetzte Ereignis "Werfen einer geraden Augenzahl"  setzt sich somit aus drei  Elementarereignissen  zusammen. Die Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis ist somit 3/6 = 1/2.

 

Besteht das zusammengesetzte Ereignis aus allen möglichen Elementarereignissen des Ereignisraumes, so ist die  Wahrscheinlichkeit dieses  Ereignisses  = n/n = 1. Man nennt dies auch  das  sichere Ereignis.

 

Bei der Ermittlung der Einzelwahrscheinlichkeiten der  Elementarereignisse  stehen wir aber bei der apriorischen  Wahrscheinlichkeit  vor dem Problem, dass Chancengleichheit  der  Elementarereignisse  eben a priori (von vornherein) vorausgesetzt  wird,  nicht aber  empirisch nachweisbar ist. In der Praxis, wie uns das  Beispiel  mit der Bewerbung lehrt, ist  Gleichwahrscheinlichkeit  in vielen empirischen Fragestellungen nicht voraussetzbar und  daher der klassische Wahrscheinlichkeitsbegriff nicht anwendbar. Es ist beispielsweise denkbar, dass beim Werfen einer speziell präparierten Münze nach 50 Versuchen in 45 Fällen Wappen und lediglich  in 5  Fällen  Zahl erscheint. In diesem speziellen Falle  von  einer Gleichwahrscheinlichkeit auszugehen, ist wenig sinnvoll. Außerdem ist  die Definition von Wahrscheinlichkeit durch  die  Behauptung der Gleichwahrscheinlichkeit der Elementarereignisse zirkulär. Wir setzen  den  Begriff der Wahrscheinlichkeit bereits  bei  unserer Definition von Wahrscheinlichkeit voraus. Sinnvoller dagegen ist, einen  anderen Zugang zum Begriff der Wahrscheinlichkeit zu  wählen, nämlich: wir ermitteln experimentell die  Wahrscheinlichkeit eines Elementarereignisses über die relative Häufigkeit.

 

 

3. Empirisch-statistische Wahrscheinlichkeit

 

Zunächst zum Begriff der relativen Häufigkeit. Ein Experiment mit einer bestimmten Anzahl möglicher Elementarereignisse werde n mal wiederholt. Das Experiment sei z.B. das Würfeln einer  Augenzahl. Die Anzahl der Elementarereignisse in diesem Beispiel ist 6.  Ein einzelnes dieser Elementarereignisse  bezeichnen wir mit Ai,  wobei in unserem Falle gilt: A1 = 1; A2 = 2; A3 = 3; A4 = 4; A5 = 5;  A6 = 6.

Die  relative Häufigkeit sagt uns nun, wie oft eines dieser  Elementarereignisse  in der Versuchsreihe auftritt. Angenommen,  ein Elementarereignis Ai trete m-mal auf. Dann ist

 

h= m/n

 

Würfeln  wir bei 10 Versuchen 3-mal eine 2,  dann ist die relative Häufigkeit des Vorkommens der Augenzahl 2 = 3/10.

 

Der  empirisch-statistische Wahrscheinlichkeitsbegriff  geht  nun davon  aus, dass bei hinreichend großem n die relative  Häufigkeit sich  einem  praktisch konstanten Wert nähert.  Dieser  konstante Wert  wird  als  Wahrscheinlichkeit  des  Elementarereignisses  Ai bezeichnet.  Die empirisch-statistische Wahrscheinlichkeit  definiert also Wahrscheinlichkeit als Grenzwert der relativen Häufigkeit.  Damit wird der Zirkel in der Definition, wie wir  ihn  bei der  Definition  der  apriorischen  Wahrscheinlichkeit  über  die Gleichwahrscheinlichkeit   hatten,  vermieden.   Betrachten   wir hierzu folgendes Beispiel:

Angenommen, Sie glauben einfach nicht daran, dass bei einem fairen Würfel die Wahrscheinlichkeit des Elementarereignisses "Augenzahl 2" ein sechstel beträgt. Stattdessen wollen Sie die  Wahrscheinlichkeit für das Vorkommen der Augenzahl "2" experimentell ermitteln.  Sie  würfeln daher 6000-mal hintereinander.  Wenn  nun  in annähernd 1000 Würfen die Augenzahl "2" auftritt, so beträgt  die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von "2" 1000/6000 = 1/6. Man beachte,  dass dieser Wert rein empirisch ermittelt  wurde.  Nicht aufgrund irgendwelcher theoretischen Vorannahmen über die Gleichwahrscheinlichkeit des Auftretens der verschiedenen Augenzahlen, sondern einzig und allein über die relative Häufigkeit wurde  die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Augenzahl "2" definiert. Hätten  wir beispielsweise 1200-mal eine "2" gewürfelt,  so  wäre die Wahrscheinlichkeit für "2" 1200/6000.

 

Die  rein experimentell definierte Wahrscheinlichkeit stellt  uns aber vor drei Probleme: ein mathematisches, ein logisches und ein physikalisches Problem.

 

 

Das mathematische Problem besteht darin, dass der konstante  Wert, dem  sich  die relative Häufigkeit bei einer  hinreichend  großen Versuchsreihe  nähern  soll, als mathematischer  Grenzbegriff  zu einer  unendlichen Folge gehört. Eine derartige Folge  lässt  sich aber  niemals experimentell erkunden, da wir es in der Praxis  ja immer nur mit endlichen Versuchsreihen zu tun haben.

 

Damit  verbindet sich nun aber auch eine logische  Schwierigkeit: Das  Problem  besteht  darin, dass wir bei  einer  Definition  der Wahrscheinlichkeit über die - empirisch ermittelte (!) -  Häufigkeit  gar  nicht mehr sagen können,  dass  die  Wahrscheinlichkeit durch  die experimentell beobachtete Häufigkeit  geschätzt  wird. Die experimentell beobachtete Häufigkeit ist per definitionem die Wahrscheinlichkeit und daher keine Schätzung der  Wahrscheinlichkeit. Um überhaupt sagen zu können, dass sich die relative Häufigkeit  bei einer hinreichend großen Versuchsreihe sich  der  Wahrscheinlichkeit  nähert, würden wir  einen  Wahrscheinlichkeitsbegriff benötigen, der prinzipiell unabhängig ist von der empirisch ermittelten Wahrscheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit a posteriori  ersetzt nun aber den klassischen Begriff der  Wahrscheinlichkeit. Wodurch wird nun aber der klassische Wahrscheinlichkeitsbegriff  ersetzt? Durch die relative Häufigkeit? Diese nähert  sich aber  erst bei einer unendlichen Versuchsreihe  einem  konstanten Wert.  Ersetzen wir nun den Begriff der Wahrscheinlichkeit  durch die endliche Versuchsreihe, dann gilt das als wahrscheinlich, was wir gerade rein zufällig gewürfelt haben. Wahrscheinlichkeit wäre dann  nicht Grenzwert der relativen Häufigkeit. Ersetzen wir  nun aber  den  Begriff der Wahrscheinlichkeit durch  eine  unendliche Versuchsreihe,  so ist ein dergestalt gewonnener  Wahrscheinlichkeitsbegriff nicht mehr a posteriori, nicht mehr empirisch.

Der  physikalische  Einwand  besteht darin,  dass  eine  beliebige Annäherung an einen konstanten Wert wegen der Messungenauigkeit im atomaren Bereich (Heisenberg!) experimentell gar nicht  ermittelt werden kann.

 

Daraus  ergibt sich folgender Schluss: Da sich  Wahrscheinlichkeit weder  über den Begriff der  Gleichwahrscheinlichkeit  definieren lässt  - dies führt zu einem Zirkel in der Erklärung -, noch  auch durch den schwächeren Begriff der empirisch ermittelten relativen Häufigkeit  ersetzt  werden kann, bleibt nur mehr der  Ausweg,  es aufzugeben,  nach  einer  Definition  für  Wahrscheinlichkeit  zu suchen, sondern sie einfach in einem Axiomensystem formal  einzuführen,  ohne  sich um seine inhaltliche  Bedeutung  zu  kümmern. Damit kommen  wir  zur  letzten Verwendung des Wortes "wahrscheinlich".

 

4. Wahrscheinlichkeit als axiomatisch-mathematischer Ausdruck.

 

Axiome sind Postulate, unbewiesene und beweisunbedürftige Behauptungen.  Wird die Wahrscheinlichkeit rein formal  eingeführt,  so wird  die  Frage, ob die  Elementarereignisse  gleichwahrscheinlich sind oder nicht, zunächst beiseite gestellt. Die Frage der Zuordnung einer konkreten Wahrscheinlichkeit zu den Wahrscheinlichkeiten  der Elementarereignisse wird dem Praktiker  überlassen.  Der Mathematiker  begnügt  sich mit einer  rein  axiomatisch-formalen Verwendung  von Wahrscheinlichkeit. Jedem Ereignis wird  in  Form eines  Postulats eine Wahrscheinlichkeit zugeschrieben.  Es  wird aber  dabei nicht gesagt, wie groß diese ist.  Wahrscheinlichkeit ist hier zunächst ein weiter nicht festgelegter Grundbegriff. Die konkrete  Zuordnung eines Zahlenwertes erfolgt entweder über  die Gleichwahrscheinlichkeit  (wie  im Falle  der  klassischen  Wahrscheinlichkeitstheorie) oder über die relative Häufigkeit (wie im Falle  der  empirisch-statistischen  Wahrscheinlichkeit).   Durch diese Zuordnung wird nun aber Wahrscheinlichkeit nicht definiert, sondern eben nur ein Zahlenwert zugeordnet.

 

Die drei Axiome der axiomatisch begründeten  Wahrscheinlichkeitstheorie sind:

1.  Jedem  Ereignis  Ai wird eine  Wahrscheinlichkeit  mit  einem Zahlenwert von

 

 

zugeordnet.

 

2. Das sichere Ereignis hat die Wahrscheinlichkeit 1.

 

3.  Die Wahrscheinlichkeit einer Summe zufälliger, einander  ausschließender Ereignisse ist gleich der Summe der  Wahrscheinlichkeiten dieser Ereignisse.

 

p (A1 oder A2 oder ..  Al) = P(A1) + P(A2) + .. + P(Al).

 

Aus  diesen drei Postulaten wird nun die gesamte  Wahrscheinlichkeitstheorie abgeleitet.

 

Das  letztere Postulat wird auch als Additionstheorem  von  Wahrscheinlichkeiten einander ausschließender Ereignisse bezeichnet.

 

Aus  diesen Axiomen lassen sich eine ganze Reihe weiterer  Regeln der Wahrscheinlichkeitstheorie rein logisch ableiten. Statt einer Ableitung begnüge ich mich hier mit einer Auflistung der wichtigsten  Regeln.  Diese sind: a) das Additionstheorem  von  einander nicht  ausschließenden Ereignissen (die so genannte „Oder-Wahrscheinlichkeit“) b) das  Multiplikationstheorem für  voneinander abhängige Ereignisse (die so genannte „Und-Wahrscheinlichkeit“) c)  Multiplikationstheorem für voneinander unabhängige Ereignisse (die so genannte „Und-Wahrscheinlichkeit“)

 

ad a) Das Additionstheorem

 

Dieses Theorem wird oft auch als "oder" Regel der Wahrscheinlichkeit  bezeichnet. Grundsätzlich lässt sich die "oder"  Wahrscheinlichkeit am folgenden Beispiel verdeutlichen: Wir wollen  wissen, wie wahrscheinlich es ist, bei einmaligem Würfeln entweder eine 6 oder  eine  5 zu würfeln. Beide Einzelereignisse  schließen  sich wechselseitig  aus. Die "oder" Wahrscheinlichkeit  fragt  danach, wie  groß  die Wahrscheinlichkeit ist, daß  eines  dieser  beiden Elementarereignisse  eintritt.  Im  konkreten  Fall  beträgt  diese Wahrscheinlichkeit  - folgen wir dem 3. Axiom von  Kolmogorov  - 1/6 + 1/6.

Im  Anschluss  daran  stellt sich nun die Frage,  wie  die  "Oder-Wahrscheinlichkeit“  zu  berechnen ist, wenn  sich  die  einzelnen Ereignisse nicht gegenseitig ausschließen.

Dies  ist das Additionstheorem für einander nicht  ausschließende Ereignisse. Es gilt:

Die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten der Ereignisse A oder  B ist gleich der Wahrscheinlichkeit für A plus der  Wahrscheinlichkeit  für  B minus der Wahrscheinlichkeit für  das  gleichzeitige Eintreten von A und B.

Betrachten wir dazu folgendes Beispiel:

In  einer Schule mit insgesamt 100 Schülern sind 51 Schüler  weiblichen  Geschlechts  und  35 Schüler  sind  Linkshänder. Von  den 35 Linkshändern sind wiederum 10 weiblichen Geschlechts. Betrachten wir dazu folgende Tabelle:

 

 

 

W

M

 

Linkshänder

 

 

 

JA

10

25

35

NEIN

41

24

65

 

51

49

 

 

 

 

100

 

 

Wir  fragen  nun nach der Wahrscheinlichkeit, aus  dieser  Schule zufällig  ein  Mädchen  oder einen  Linkshänder  auszuwählen.  Zu beachten  ist, dass sich in diesem Beispiel die beiden  Ereignisse "Mädchen"  und "Linkshänder" gegenseitig nicht ausschließen.  Ein zufällig  ausgewählter Schüler ist nicht entweder  weiblich  oder Linkshänder, schließlich gibt es auch weibliche Linkshänder.

Was  sind  also in diesem Falle die verschiedenen  einander  ausschließenden  Einzelereignisse?  Es sind dies alle  Mädchen  plus alle nicht weiblichen Linkshänder. Dies ergibt in der Summe 51  + 25 einander ausschließende Elementarereignisse. Das ist aber  das gleiche  wie  die 51 Mädchen plus die 35  Linkshänder  minus  die beiden sich überschneidenden Ereignisse "weiblich" und "Linkshänder" (10).

Haben wir einmal die sich tatsächlich ausschließenden  Ereignisse gewonnen,  so können wir nach Axiom 3 die Wahrscheinlichkeit  für "weiblich" oder "Linkshänder" berechnen: diese ist die Summe  der 76  Einzelwahrscheinlichkeiten.  Die Wahrscheinlichkeit  für  das Auswählen eines Schülers beträgt 1/100. Also ist die  Wahrscheinlichkeit für "weiblich" oder "Linkshänder" = 76/100.

 

Allgemein gilt:

 

Wahrscheinlichkeit  von A oder B = Wahrscheinlichkeit von A  plus Wahrscheinlichkeit  von  B minus der  Wahrscheinlichkeit  für  das gleichzeitige Auftreten von A und B.

 

Die Wahrscheinlichkeit für Mädchen = 51/100; die  Wahrscheinlichkeit für Linkshänder = 35/100; die Wahrscheinlichkeit für weiblicher  Linkshänder = 10/100. Die Wahrscheinlichkeit  für  weiblich oder  Linkshänder  ist daher: 51/100 plus 35/100 minus  10/100  = 76/100!

 

b) Multiplikationstheorem für voneinander abhängige Ereignisse

 

Vorerst  müssen  wir klären, was unter abhängigen  Ereignissen  zu verstehen ist. Wir betrachten zwei Ereignisse, die sich gegenseitig nicht ausschließen. Definition: Ein Ereignis B ist von  einem Ereignis A abhängig, wenn Ereignis B dann und nur dann  eintritt, wenn  Ereignis A eintritt. Soll nun bei der Berechnung der  Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses B vorausgesetzt werden, dass  ein Ereignis  A mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit bereits  eingetreten ist, so nennt man diese Wahrscheinlichkeit bedingte  Wahrscheinlichkeit.

Zur  Veranschaulichung  gehen wir wiederum von  unserer  fiktiven Schule  aus. Vorweg folgende Definition: Ziehen wir  aus  unserer Schule zufällig ein Mädchen, so bezeichnen wir dies als das Ereignis  A. Dieses Ereignis A besteht aus 51  Elementarereignissen  - den  51  Mädchen. Ziehen wir aus unserer  Schule  zufällig  einen Linkshänder, so bezeichnen wir dies als Ereignis B. Das  Ereignis B setzt sich zusammen aus 35 Elementarereignissen. Das sind  alle Linkshänder in der Schule.

Nun ein Beispiel für ein abhängiges Ereignis:

Wir  sondern  aus unserer Schule zunächst alle Mädchen  aus.  Wir bezeichnen  diese  Auswahl als Ereignis A.  Nach  dieser  Auswahl verbleiben  insgesamt noch 51 Schüler. Wir wollen nun  die  Wahrscheinlichkeit  wissen,  aus den  verbleibenden  51  Schülerinnen zufällig  einen Linkshänder zu ziehen.  Diese  Wahrscheinlichkeit ist:

p (Linkshänder bei gegebenem Mädchen) = Anzahl aller  linkshändigen Mädchen / Anzahl aller Mädchen = 10 / 51!

 

Nun ist die Anzahl aller linkshändigen Mädchen gleich der  Anzahl aller  Elementarereignisse  von B (Linkshänder), die  auch  zu  A (Anzahl aller Mädchen) gehören. Dieses Produkt der Ereignisse von A und B ergibt insgesamt 10 Schüler.

 

Allgemeiner formuliert heißt das: Die bedingte Wahrscheinlichkeit P (B|A) = (Anzahl aller Elementarereignisse von A und B) /  Anzahl aller Elementarereignisse von A)

 

In unserem Beispiel: 10 / 51

 

Diese Formel ist identisch mit der folgenden:

 

 

Beweis:

 

Ereignis  A  tritt  in k = 51 Fällen auf. Ereignis B in  l  =  35 Fällen.  Das Produkt der beiden Ereignisse (die Schnittmenge  der beiden Ereignisse) A und B ist m = 10.

Die entsprechenden Wahrscheinlichkeiten sind:

 

P (A) = 51 / 100

P (B) = 35 / 100

P (A und B) = 10 / 100

 

Wie wir bereits wissen, ist P (B|A) = 10 / 51 = m / k

 

Dies ist äquivalent zu: (10/100) / (51/100) = (m / n) / (k / n)

 

Damit ist m / k äquivalent zu P (A und B) / P (A).

 

Was zu beweisen war.

 

Die  bedingte Wahrscheinlichkeit spielt oft eine Rolle, wenn  wir bei  zwei nacheinander erfolgenden Ziehungen von Dingen  (Karten, Kugeln  in  einer Urne und ähnliches) das gezogene Ding  bei  der zweiten  Ziehung  nicht zurücklegen. In diesem  Falle  hängt  das Ergebnis der zweiten Ziehung vom Ergebnis der ersten Ziehung ab.

 

Aus der Formel für die bedingte Wahrscheinlichkeit läßt sich  nun der Multiplikationssatz für abhängige Ereignisse ableiten.

 

Aus

 

 

 ergibt sich:

 

 

 

Das heißt: Haben zwei Ereignisse A und B bei einem Experiment die Wahrscheinlichkeit  P (A) bzw. P (B), so beträgt die  Wahrscheinlichkeit  des  gleichzeitigen Eintretens von A und B  bei  diesem Experiment

 

 

Umgesetzt auf unser Beispiel bedeutet das:

 

 p (B|A) = 10/51

 p (A) =  51/100

 

Sind nun zwei Ereignisse voneinander unabhängig, so ist p (B|A) = p (B). Daraus ergibt sich:

 

c) Multiplikationstheorem der Wahrscheinlichkeiten für  voneinander unabhängige Ereignisse

 

 

Beispiel:  zweimal hintereinander eine 6 zu würfeln (p =  1/6  * 1/6).